Interview

Auszüge aus dem Interview von Mag. Jörg Hofer mit der Autorin anlässlich der Buchpräsentation am 27. 2. 2012 in der Buchhandlung Thalia, Wien Landstraße

H: Frau Dr. Drexler, Sie schreiben in Ihrem Buch, dass viele erfolgreiche, schillernde Menschen eine Maske tragen und dass das ein häufiger Auslöser für psychische Probleme ist. Aber ist es denn nicht wünschenswert, wenn Menschen erfolgreich und schillernd sind und es genießen, im Mittelpunkt zu stehen?

 

D: Ja, schillernde, kreative Menschen machen unsere Gesellschaft lebendig. Erfolgsorientierte Menschen bringen die Gesellschaft durch ihre Leistungen weiter. Da entsteht viel in kultureller, sportlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Problematisch wird es, wenn sich Menschen durch die oft jahrelange Außenorientierung verlieren, wenn sie das, was ihre eigene Person wäre, also ihre Einstellungen, ihre Werte nicht mehr spüren. Es entsteht ein Teufelskreis: Wenn man nicht mehr spürt, was einem entspricht, nimmt man immer mehr Anleihe von außen und je mehr man das tut, umso mehr wird das Eigene zugeschüttet. Das nächste Problem besteht darin, dass man nicht nur die Beziehung zu sich, sondern auch zu den anderen verliert. Beziehung setzt voraus, sich selbst und den anderen anzunehmen und sich in einem interessierten, uneigennützigen Austausch zu befinden. Stattdessen findet oft eine Orientierung an der Nützlichkeit statt, der andere dient beispielsweise materieller Sicherheit, der Karriere, dem eigenen sozialen Status oder als Gesellschafter, um nicht allein sein zu müssen. Auf diese Weise kann man zwar viele Kontakte, auch so genannte Freunde, haben, aber Beziehungen sind das nicht. Schlimm ergeht es den Betroffenen, wenn es zur Krise kommt, zum Beispiel bei einer Trennung. Dann greifen die bisherigen Erfolgsstrategien oft nicht, die Person ist auf sich selbst zurückgeworfen. Die Betroffenen setzen zwar alles daran, möglichst schnell wieder in ihr altes Leben zu kommen, mit Partys, neuem Partner, mehr Arbeit. Gelingt das aber nicht, dann kann es zu psychischen Krankheiten kommen, allen voran das Burnout, aber auch Süchte wie Alkohol, Drogen und die für unsere Zeit typischen Süchte, die Arbeitssucht, Internetsucht, Kaufsucht, die Esssüchte – und natürlich auch psychosomatischen Erkrankungen.

 

H: Hat denn das Tragen einer Maske im Alltag nicht auch seine guten Seiten, ist es denn nicht manchmal sogar notwendig, sich ein wenig zu maskieren?

 

D: Ja! Authentisch sein, also echt sein heißt nicht immer überall alles von sich preis zu geben. Es gibt den Intimbereich, den persönlichen Bereich und wenn ich gut mit mir umgehe, muss ich laufend entscheiden, was und wie viel ich von mir zeige. Das ist keine Maske, sondern ein Schutz des Eigenen, meiner Person. Maske beginnt dort, wo sich jemand anders gibt als er ist. Es gibt verschiedene Beweggründe dafür, die sich in drei Arten von Masken zusammenfassen lassen.

Die Macher: Ihnen geht es darum, die Nummer eins zu sein und sie verfolgen dieses Ziel mit einem unbeirrbaren Willen. Ihr Selbstwert scheint bestechend. Es ist ihnen kein Problem, ihre Vorzüge hervorzustreichen. Ebenso haben sie kein Problem damit, ihre Interessen durchzusetzen, so dass andere sie bewundern und sich gerne an ihnen orientieren.

Die Schillernden: sie drängen danach, im Mittelpunkt zu stehen. Schon durch ihre Erscheinung ziehen sie die Blicke aller auf sich. Sie brauchen das Publikum. Wenn es applaudiert, fühlen sie sich geliebt und geschätzt. Es sind also die anderen, die den Schillernden ihren Wert verleihen.

Die Bescheidenen: Sie wirken auf den ersten Blick, als ob sie nicht zu den Maskenträgern gehören würden, aber auch sie tun alles, um geschätzt zu werden und übergehen dabei die eigene Person. Sie sind oft in der zweiten Reihe zu finden und sind glücklich, wenn sie hören „Was würde ich nur ohne dich/Sie tun!“

 

H: Woran erkennt eine Person eigentlich, dass sie selbst eine Maske trägt?

 

D: Meistens sind die Betroffenen ein Leben lang daran gewöhnt und erleben ihre Maske nicht als solche. Wenn man seiner Persönlichkeit gemäß leben möchte, steht immer im Zentrum die Frage „Ist das stimmig?“ Und genau auf dieses Stimmigkeitsgefühl haben Menschen, die in einer Außenorientierung leben, keinen Zugriff.

Aber es gibt Hilfestellungen. Zum Beispiel die Frage an sich selbst: „Wonach richte ich mich bei einer Entscheidung? Nach der Familie, den Freunden, den Arbeitskollegen, der Werbung? Ich erlebe es als wichtigen Wegweiser zu fragen: „Tue ich das, weil es die anderen tun oder fühle ich tief in mir, dass es richtig ist?“  Eine andere, vielleicht noch leichtere Hilfestellung ist die Frage: „Worum geht es mir eigentlich, primär? Geht es um Anerkennung, Erfolg, Wichtigsein, Mit-dabei-sein-Wollen?“ Lautet die Antwort „Ja“, ist man abhängig von außen und die Gefahr groß, sich dafür zu verbiegen.

Bei einer Orientierung an dem, was man selbst als stimmig erlebt und was man ehrlich vertritt, stellen sich Zufriedenheit und Erfülltheit ein; Gefühle, die weit schlichter, aber auch dauerhafter sind als die berauschende Wirkung des Beifalls eines Publikums.

 

H: Wo beginnt die Maske problematisch, krankhaft zu werden?

 

D: Das Kriterium ist nicht, wie oft angenommen, der Leidensdruck. Es ist der Zwang, etwas immer in einer bestimmten Weise tun zu müssen. Es ist das Gefühl, dass es nicht anders geht, weil allein schon die Vorstellung sich bedrohlich anfühlt; wenn eine Person beispielsweise immer nett sein muss, obwohl sie mit etwas nicht einverstanden ist; wenn die Barriere sich so mächtig anfühlt, dass es unmöglich wird, den eigenen Standpunkt zu vertreten und diese Person höchstens im Bett Selbstgespräche führt, was sie hätte sagen können. Oder wenn die Vorstellung, einmal nicht die Nummer eins zu sein oder mit etwas Schiffbruch zu erleiden Angst auslöst und dazu führt, den Erfolg mit allen Mitteln erzwingen zu wollen.

 

H: Wie wird man die Maske los?

 

D: In kleinen Schritten. Veränderung geschieht nicht spektakulär, über Nacht.

Was es braucht? Zuallererst die Herausnahme aus dem hektischen Tagesgeschehen, ein Für-sich-allein-Sein, um den Tag oder eine bestimmte Situation Revue passieren zu lassen. Man kann sich dann fragen: „Wie war das für mich?“ und auf die Gefühle achten, die sich einstellen. Dann kann man sich fragen. „Was sagt mir das? Was ist richtig für mich? Was mache ich damit?“ Und so beginnt das Hinhören auf die eigene innere Stimme.

Übt man diesen inneren Dialog, kommt man der eigenen Person Stück für Stück näher. Aber es braucht auch Mut, denn durch den ehrlichen Umgang mit den eigenen Wahrnehmungen und Gefühlen wird klar, dass manchmal unbequeme Stellungnahmen oder auch Änderungen anstehen. Es bedeutet, mit anderen nicht immer konform zu gehen, vielleicht auch Kritik zu ernten.

Das kann schon Angst machen, weil wir ja auch zu einer Gemeinschaft dazu gehören wollen. Es ist sicher kein bequemer Weg, aber es ist die Chance, unsere jeweils einzigartige Persönlichkeit zu entfalten.